Oooh ja, es gibt viel zu erzählen. Am besten ihr nehmt euch ein bisschen Zeit für diesen Artikel, stellt optional Tee, Kaffee und / oder Glühwein (*sehnsuchtsvoll-vermiss*) bereit und legt die Füße hoch. Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen. Kurz zum Wetter :-) : hier ist immer noch Sommer! Zwar hat sich die Luft schon etwas abgekühlt, aber wegen dieser ununterbrochenen Sonne, nimmt man es hier dem Klima einfach nicht ab, dass eigentlich schon fast Dezember ist!
Freitagnacht um 11 Uhr, 14. November: Wie angekündigt steuern wir Chihuahua an. Dank des schrottreifen Busses wurden aus geplanten 11 h Fahrt 14 h (und auch nur, weil wir schließlich den Bus wechselten). Aber wir haben ja Zeit. Und ehrlich gesagt – sowas bringt mich jetzt auch nicht mehr aus der Ruhe. Jedenfalls kamen wir Samstagnachmittag in der Bergen an und fuhren gleich weitere 5 h nach Creel, weil man in sich wegen enormen Sicherheitsproblemen in der gleichnamigen Hauptstadt des Staates Chihuahuas besser nicht groß aufhalten sollte…
Creel empfing uns mit tierischer Kälte (liegt auf ca. 2200 m über NN) und dem Geruch von verbranntem Holz, den wir mit unseren Klamotten dann in alle weiteren Orte mitnehmen sollten. Dort stiegen wir in einem niedlichen und günstigen Hotel bis Dienstag ab. Am ersten Tag gingen wir in die Berge der Sierra Tarahumara wandern und kamen an einigen Siedlungen von Ureinwohnern (indígenas) vorbei. Carlos, der diesen Sommer einige Monate in einer comunidad indígena gelebt hat, konnte sogar gekonnt mit vorbeikommenden Ureinwohnern auf deren Sprache rarámuri plaudern (siehe Begrüßungsformel ganz oben).
Die meisten von denen leben aber tief versteckt in den Bergen und Canyons, laufen ab und zu 5 h oder mehr zur nächstgelegenen Straße, auf der einmal am Tag ein Bus vorbeikommt. Einige Frauen und Kinder kommen aber täglich in das einzige Dorf weit und breit (Creel), um Ketten, Armbänder, Schachteln uvm. für einen Spottpreis zu verkaufen. Guckst du…
Eines Abends fiel eine halbe Stunde lang der Strom im ganzen Ort aus, was wohl öfter vorkommt. Die einzige Beleuchtung ging von den im Minutentakt vorbeifahrenden Polizeiwagen aus, die seit einem bis heute ungeklärten Massaker im August jede Nacht die Autofahrer auf Waffen kontrollieren…
Am Dienstag, den 18. November, stiegen wir dann in den einzigen Personenzug Mexikos „Chepe“ ein, der uns durch riesige Canyons auf einer 12-stündigen Fahrt nach Los Mochis brachte. Es gibt 2 getrennte Züge – 1. und 2. Klasse. Wir entschieden uns dafür, die Hälfte zu bezahlen und von Mexikanern umgeben zu sein, anstatt in den Zug der 1. Klasse zu steigen und die ganze Zeit das Englisch der Gringos zu hören… (Na? Genau, Gringos sind die Nordamerikaner…)
Übrigens: Wer hätte das gedacht, dass ich mittlerweile fast unfähig bin, auf englisch zu antworten, wenn ich angesprochen werde?! Automatisch reagiere ich auf spanisch bzw. kriege die einfachsten Sätze schlechter hin als ein 6.-Klässler, der bei Frau Nickel Unterricht hat ;-).
Jedenfalls kamen wir nachts in Los Mochis an der Pazifikküste an. Die Stadt liegt im Staat Sinaloa, wo angeblich die schönsten Frauen Mexikos leben sollen. Naja. Schöne Gesichter haben sie, stimmt… Ansonsten schlägt einen der Lärm sofort wieder in die Flucht: ohrenbetäubende Werbeansagen, Tampico-ähnliches Gehupe und (Volks-) Musikbeschallung mit erstaunlichen Boxen vor vielen Geschäften. Dabei ist mexikanische Volksmusik übrigens mindestens genauso schlimm wie Hansi Hinterseer & Co. Die Mutigen unter euch klicken mal auf den Link und tun sich 10 Sekunden lang an, was man in Sinaloa den ganzen Tag aushalten muss…
Wir setzten dann mit der Fähre gleich in der folgenden Nacht (6 h) nach La Paz in Baja California (Niederkalifornien) über und dort wurde Jasminchenbienchen dann erstmal ein ganz schöner Schrecken eingejagt. Ich war so clever, meine nationale Identifikation mitzunehmen, also den Perso, mit dem hier kein Mensch was anfangen kann, aber meinen Reisepass in Monterrey zu lassen. Vielleicht, weil ich mich schon „zu Hause“ fühle?! Oder weil ich dachte, dass ich ja das Land nicht verlasse?!
Das fand so ein Migrationsbeamter am Hafen in La Paz nicht so gut. Ich dachte eigentlich nur, dass unsere Gepäckscheine kontrolliert werden. Aber der uniformierte und ich-weiß-nicht-mehr-genau-ob-bewaffnete Intelligenzbolzen ließ uns aber dann schließlich doch gehn. Nachdem wir ihm mehrmals erklärt hatten, dass ich mich bereits im „Visa-Prozess“ befinde, entließ er uns mit den Worten, dass wir in die Migrationsbehörde von La Paz fahren sollten und ein Visum beantragen sollten (mal ganz abgesehen davon, dass ich dank beispielloser mexikanischer Bürokratie nach 4 Monaten mein Visum immer noch nicht habe).
La Paz ist ein Anlaufpunkt für viele Immigranten, Flüchtlinge usw., weshalb am Hafen einige Dutzend Soldaten bewaffnet bereitstehen und alle der Reihe nach kontrolliert werden. Auf den Rat eines vor uns in der Schlange stehenden Kubaners hin, versteckte ich meine Haare mit einem Kopftuch und setzte lieber wieder meine Sonnenbrille auf. Letztendlich wurde aber doch nur nach Drogen gesucht.
Carlos‘ Theorie: der Typ dachte wahrscheinlich, ich wäre Russin und wolle in die USA o.ä. Trotzdem: ich hatte in dem Moment kein Bargeld zwecks Bestechung und auch wenn mich Carlos an meine „Rechte“ (z.B. mit der Botschaft Kontakt aufzunehmen) erinnerte – (nicht nur) in Mexiko ist alles relativ. Aber als Deutsche schien ich dann doch keine große Bedrohung darzustellen. Und also mal ehrlich: wieso sollte ich bitteschön länger und / oder illegal in Mexiko bleiben wollen!? Tsss!…
Übrigens wunderte ich mich schon an Bord der Fähre über eine große Gruppe von zig kleinen, dunklen Mexikanern, die plötzlich den Aufenthaltsraum „fluteten“. Alle hatten nur einen Rucksack oder gar nichts dabei. Später sollte ich erfahren, dass das alles „indocumentados“ oder auch „mojados“ ( mojado = nass) waren, d.h. Flüchtlinge, die sich in den Staaten ein besseres Leben erhoffen und das verdiente Geld ihren Familien nach Hause schicken wollen. Deshalb steuern sie auf der etwas abgelegeneren Route die USA an und schwimmen durch den Rio Bravo. Viele ertrinken oder verdursten dann auf dem 100e-km-langen Marsch durch die Wüste und die Berge – oder werden von sich amüsierenden, jagenden Rednecks abgeknallt.
Mit einem ordentlichen „nudo en la garganta“ (= Kloß im Hals) fuhren wir mit dem Bus nach Los Cabos, eine v.a. von Amerikanern frequentierte Touristenhochburg an der Südspitze der Halbinsel. Da unsere Billigairline unseren Flug auf Montag verschoben hatte, verbrachten wir also 5 Tage in einem Ami-Nest, gingen schnorcheln und ließen einfach die Seele baumeln. Dabei sollte man versuchen, sich nicht von den auf-die-Zielgruppe-angepassten Mexikanern nerven zu lassen, die einem permanent auf englisch Schmuck, Kleider und „verde sin semillas“ (= „Grün ohne Kerne“ = Gras) anbieten…
Trotz der Befürchtungen ging auf dem Rückflug alles klar, niemand verlangt bei einem Inlandsflug einen Reisepass – im Gegenteil: es wird alles, d.h. Mitnehmen von Flüssigkeiten oder Gepäckkontrolle ziemlich locker genommen. Montagnacht landeten wir also wieder in Monterrey, stellten unsere Uhr wieder eine Stunde vor und uns auf die doch völlig isolierte und für-Mexiko-nicht-repräsentative Atmosphäre der Uni ein…
Die gute Nachricht: noch 2 Prüfungen und dann hat sich’s gegessen. Apropos Essen: Lieber KEIN chinesisches Essen in Los Cabos essen: ruft bei Männern allergische Reaktionen hervor und räumt bei Frauen den Magen aus…